Psychosoziale Belastungen sind oft noch Tabu-Thema
Anita Müller, Projektleiterin Arbeitssicherheit, stand dem SECO Red und Antwort..
und zeigt auf, wie die Swico-Branchenlösung für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz Unternehmen auch beim Thema psychosoziale Risiken am Arbeitsplatz unterstützt. Als 'Best Practices' wurde die Branchenlösung in der Publikation "PSY-INFO" zu Handen der kantonalen Arbeitsinspektoren portraitert.
Sie erleichtern es Ihren Mitgliedern, Massnahmen im Bereich Arbeitssicherheit umzusetzen. Wie gross ist das Interesse der Unternehmen an diesem Angebot?
Im 2000 haben wir die Swico Branchenlösung für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz lanciert. Seitdem nutzen durchschnittlich gut 100 Firmen diese Möglichkeit und haben sich uns angeschlossen. Die Grösse dieser Betriebe variiert von 15 bis zu über 1000 Mitarbeitenden. Wir stellen fest, dass grosse internationale Firmen sich ihrer Verantwortlichkeiten in diesem Bereich oft nicht bewusst sind und davon ausgehen, die internen und europäischen Konzernvorgaben würden sicherlich auch die Ansprüche des Schweizer Rechtes abdecken. Vielfach kommen die Verantwortlichen in der Geschäftsleitung erst auf uns zu, wenn der Arbeitsinspektor seinen Besuch mit den 10 ASAKontrollpunkten avisiert hat.
Wie überzeugen Sie Ihre Verbandsmitglieder, dass sich Massnahmen für die Arbeitssicherheit und insbesondere zur Prävention und Eindämmung psychosozialer Risiken lohnen?
Das stichhaltigste Argument ist natürlich die Gesetzeskonformität. Wir zeigen dem Betrieb zudem auf, was ein einziger Ausfalltag infolge Krankheit oder Unfall kosten kann. Auf der Basis der Statistik der Branche können wir jedem Unternehmen aufzeigen, wo es im Vergleich zu anderen steht. Vielfach sind finanzielle Überlegungen die beste Argumentation für Investitionen in die Prävention.
Ein grosses Thema sind seit ein paar Jahren psychosoziale Risiken. Wie bietet Swico hier Unterstützung?
Dieses Thema beschäftigt uns in der Branchenlösung schon seit einiger Zeit. Wir verzeichnen immer weniger Berufsunfälle und sehen gleichzeitig, dass die Ausfalltage im Bereich Krankheit stetig steigen. So gab es bereits im Jahr 2013 an den ERFA-Tagungen ein erstes Referat über „ständige Erreichbarkeit“ und deren Folgen wie Stress, Burnout etc. Von diesem Phänomen ist gerade unsere Branche besonders betroffen. Um unseren angeschlossenen Firmen eine optimale Unterstützung im Bereich „psychosoziale Risiken am Arbeitsplatz“ bieten zu können, haben wir ein entsprechendes Dienstleistungsangebot lanciert. Dies deshalb, weil viele Firmen – gerade diejenigen mit eher wenigen Mitarbeitenden – im Betrieb meistens keine speziell ausgebildete Person für dieses Thema haben. Zusammen mit der Firma AEH in Zürich bieten wir deshalb eine externe Anlaufstelle für psychosoziale Risiken an.
Für die ERFA-Tagungen im Jahr 2015 haben wir das Thema „psychosoziale Risiken am Arbeitsplatz“ ins Zentrum gestellt. Ergänzend zum Referat des SECO haben wir eine neue Kampagne zum Thema lanciert, um die Arbeitssicherheitsbeauftragten weiter zu sensibilisieren: Wir stellen ihnen die nötigen Informationen, Dokumente etc. für ihre betriebsinternen Stellen wie HR, Personalkommission, GL etc. zur Verfügung. So können sie diese Stellen bei der Umsetzung besser beraten. Die Kampagne beinhaltet unter anderem Präsentationen für Vorgesetzte, Flyer für Mitarbeitende, Checklisten zur Ermittlung von psychosozialen Risiken sowie ein Muster-Reglement zum Thema.
Im Weiteren planen wir für Frühjahr 2016 eine Schulung für interne Vertrauenspersonen, in der wir über Präventionsmassnahmen, rechtliche Grundlagen aber vor allem auch über die Rolle der Vertrauensperson und deren Möglichkeiten und Grenzen informieren.
Wo sehen Sie den grössten Handlungsbedarf, wenn es um psychosoziale Belastungen geht?
Die Sensibilisierung für dieses Thema steht bei uns an erster Stelle. Feedbacks aus den ERFA-Tagungen bestätigen unsere Vermutung, dass dies in den Betrieben immer noch ein Tabu-Thema ist: Einerseits möchte niemand den Bedarf (mit Kostenfolge) dafür schüren, andererseits betrachten es viele als zu intimes Thema, um es offen zu diskutieren. Die meisten hoffen einfach, dass schon nichts passiert. Eine klassische Vogel-Strauss-Politik…
Natürlich treffen in unserer Branche auch besonders viele unterschiedliche Kulturen aufeinander, und zwar aus allen Kontinenten. Da ist es nicht einfach ein Betriebsklima zu schaffen, das für alle Mitarbeitenden stimmt.
Wir ermuntern unsere Firmen, bei Mitarbeitergesprächen auch über solche Themen zu sprechen: Fühlst du dich wohl am Arbeitsplatz, wo sind allenfalls Probleme im Umgang mit den anderen Mitarbeitenden etc. Von uns aus gesehen sollten solche Fragen in jedes Mitarbeitergespräch einfliessen.
Sind psychosoziale Risiken beim Swico als Arbeitgeber ein Thema?
Die Swico-Geschäftsleitung ist sich ihrer Verantwortung bewusst und hat mit der Lancierung der Kampagne diese auch im eigenen Betrieb umgesetzt. Es gibt ein Reglement zum Schutz der persönlichen Integrität. Darin wird über die gesetzlichen Grundlagen, Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten bei Verletzung der persönlichen Integrität informiert. Allfällige Konsequenzen und die interne Anlaufstelle sind ebenfalls darin enthalten. Die Schulung der Mitarbeitenden ist auch hier ein zentrales Thema und wird beim Swico selbstverständlich umgesetzt.
Die Geschäftsleitung hat auch Regeln über „ständige Erreichbarkeit“, sei es per Handy oder Mail, verfasst, um die Mitarbeitenden vor zu hoher Arbeitsbelastung zu schützen.
Ebenfalls zu erwähnen ist der von Swico Anfang 2015 publizierte Verhaltenskodex für seine Mitglieder, der die Arbeitgeber ebenfalls auf ihre Verantwortung in diesem Bereich aufmerksam macht.
Wie schützen Sie sich persönlich vor psychosozialen Risiken?
Ich achte darauf, dass meine Work Life Balance stimmt und ich genügend Ressourcen habe, um mich wieder zu erholen. Lange Spaziergänge in der Natur mit meinem Hund, bei welchen ich das Handy regelmässig zu Hause liegen lasse, oder Tage an denen ich den Computer gar nicht erst anstelle, helfen mir, einen guten Abstand zum Geschäftsleben zu halten.
Was Sie sonst noch zum Thema sagen möchten…
Wenn ich im Gespräch mit Firmenverantwortlichen das Thema Psychosoziale Risiken am Arbeitsplatz erwähne, weiss kaum jemand so richtig, wie er das Thema im Betrieb sinnvoll angehen kann. Ich denke, gerade hier ist eine Branchenlösung aufgerufen, den angeschlossenen Betrieben Hilfestellung zu geben und Dokumente wie Muster-Reglement und Schulungen anzubieten.
Ich würde mir aber wünschen, dass der Bund (EKAS) auch für die breite Bevölkerung mehr Aufklärungsarbeit zu diesem Thema leistet. Analog zu den SUVA Kampagnen mit Filmen, bei denen nicht der Helm oder die Schutzweste Inhalt sind, sondern die geistige Gesundheit der Leute. Denn wenn ein Mitarbeiter an einem Burnout leidet oder seinen Job infolge Mobbing verliert, dann hat das nicht nur Auswirkungen auf die Firma und die gesamte Wirtschaft, sondern auch auf die Familienangehörigen des Arbeitnehmers.
Das Intervie führte Anania Hostettler. Publiziert in: "PSY-INFO", Nr. 4, Dezember 2015, Staatssekretariat für Wirtschaft SECO.